Memel / Klaipeda
Einst war Memel die nördlichste Stadt Preußens. Über das Memeler Tief besteht eine Wasserverbindung vom Kurischen Haff mitsamt dem Mündungsdelta des gleichnamigen Flusses Memel (litauisch Nemunas) mit der Ostsee. Von der Stadt aus erreicht man in wenigen Augenblicken die einzigartige Landschaft der Kurischen Nehrung, die von der Unesco im Jahr 2000 zum Weltkulturerbe gekürt wurde.
Die Landschaften am Kurischen Haff entlang der Memel waren einst Heimat prußisch-baltischer Stämme. Im 13. Jahrhundert gelangte mit dem Livländischen Schwertbrüderorden das Christentum in die Gegend. Zunächst errichteten die Schwertbrüder eine Burg und wenig später – 1253 – die Stadt Memel. Sie zählt damit zu den ältesten Stadtgründungen Ostpreußens, bei der Kaufleute aus Dortmund eine entscheidende Rolle spielten. 1258 wurde der jungen Kommune – als Memele castrum erwähnt – das in der Region seltene lübische Stadtrecht verliehen.
1328 kam Memel zum Herrschaftsbereich des Deutschen Ordens. Aus der Gründungszeit stammt das älteste Stadtsiegel, aus dem das bis heute gültige Stadtwappen entstand. Im Zentrum erkennt man einen Turm der Memelburg, der von hölzernen Baken abgesichert wird. Auf dem Wasser davor schwimmt ein Boot, das die maritime Verbindung Memels zum Kurischen Haff sowie zur Ostsee unterstreicht.
Memel F-1253 Taucheruhr
Als der aus Franken stammende Hochmeister, Albrecht von Brandenburg, aus der jüngeren Linie Hohenzollern-Ansbach, 1511 zum Hochmeister gewählt wurde, stand der Deutsche Orden politisch bereits am Ende. Albrecht suchte nach neuen Wegen für seinen Staat, wobei er sich zunehmend für die Lehre der Reformation begeisterte. Martin Luther selbst riet ihm, 1525 den Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum zu transformieren. Albrecht leistete schließlich als erster erblicher Herzog in Preußen den Lehnseid auf die polnisch-litauische Krone, deren Oberhoheit er anerkannte.
Preußen war das erste protestantische Land der Welt. Im Geiste der Reformationen förderte Herzog Albrecht neben Deutsch auch die anderen Sprachen seines Herzogtums: Litauisch, Polnisch und Prußisch. In dieser Zeit erlangte das Herzogtum große Bedeutung für Wissenschaften und Literatur. Dem frühbarocken Königsberger Dichterkreis kam eine große Rolle für die deutsche Literatur zu. Ein Mitglied, der Poetik-Professor Simon Dach, stammte aus Memel und schuf mit Ännchen von Tharau eines der schönsten deutschen Liebeslieder.
Das Ännchen von Tharau
Schließlich fiel das Herzogtum Preußen an die brandenburgische Linie der Hohenzollern, deren Kurfürst Friedrich III. sich 1701 in der Königsberger Schlosskirche selbst zum König in Preußen krönte. Aus diesem Kernpreußen – dem späteren Ostpreußen – ist der preußische Gesamtstaat hervorgegangen und hat ihm den Namen Preußen verliehen. Memel blieb in erster Linie eine kleine Hafenstadt, deren Festung jedoch weiterhin wichtige strategische Bedeutung zur Sicherung des Kurischen Haffs und der Memelmündung besaß. Mit den Napoleonischen Kriegen jedoch war Memel plötzlich in aller Munde, als der preußische Königshof samt Regierung aus dem fernen Berlin hierher flüchten musste.
Ein Jahr lang stieg Memel zur heimlichen Hauptstadt auf, wo die Geschicke des von Krieg und Besatzung gebeutelten preußischen Staates geführt wurden. In dieser Zeit kam es 1807 auf der Memel stromaufwärts zur legendären Begegnung zwischen Napoleon I. und dem russischen Zaren Alexander I., die im Frieden von Tilsit mündete. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. und seine Frau Luise blieben gedemütigte Zaungäste. Kurz nach der Befreiung zählte Memel 6.000 Einwohner.
Mitte des 19. Jahrhunderts begann ein wirtschaftlicher Aufstieg, der vor allem durch den Holzhandel über die Memel aus Litauen und Weißrussland begünstigt wurde. Der verheerende Stadtbrand 1854 bedeutete kurzfristig einen herben Rückschlag für die Entwicklung. Im Kaiserreich gelang Memel jedoch ein fulminantes Comeback. Die stolze jüdische Gemeinde, eine der größten in der Provinz Ostpreußen, erlebte in dieser Zeit gleichfalls ihre Blüte, die später durch den NS-Terror seit 1939 vollständig vernichtet wurde. 1910 zählte die Stadt 21.470 Einwohner, als Memel auch von der Entdeckung der Kurischen Nehrung für den Fremdenverkehr profitierte.
Simon Dach Brunnen
Memel F-1253 Taucheruhr
Bis 1920 war Memel die nördlichste Stadt Preußens und seit 1871 Deutschlands. Als Folge der Versailler Bestimmungen stand die Stadt seitdem als Teil des Memelgebiets unter dem Mandat des Völkerbundes. Nach der Annexion durch Litauen 1923 war es ein Teil der Republik mit weitgehendem Autonomiestatus für die mehrheitlich deutsche Bevölkerung.
Am 22. März 1939 fiel das Memelgebiet auf deutschen Druck zurück an Deutschland. Am Ende der deutschen Zeit zählte Memel über 43.000 Einwohner. Die ostpreußische Zivilbevölkerung wurde ab Sommer 1944 evakuiert oder floh später vor dem sowjetischen Angriff. Am 19. Januar 1945 eroberten sowjetische Truppen die Stadt. Fortan zählte Memel als Teil der Litauischen Sowjetrepublik zur Sowjetunion und seit 1990 gehört die Stadt Klaipėda – so der alte litauische Name – als westlichste Großstadt zur Republik Litauen.
Ihre wechselvolle Geschichte reicht von einer baltischen Siedlung über die Zugehörigkeit zu Preußen, die Sowjetunion bis zur unabhängigen Republik Litauen, seit 2004 auch als Mitglied der Europäischen Union. Heute zählt Memel etwa 150.000 Einwohner.
Als wichtigster Seehafen Litauens ist Klaipėda eine pulsierende Metropole samt Universität. Ihren Sohn Simon Dach ehrte die Stadt mit ihrem 1989 wiedererrichteten Wahrzeichen, dem Simon-Dach-Brunnen, den eine Figur des Ännchen von Tharau ziert, dessen Geschichte er unsterblich gemacht hat.
Das Ännchen verbindet alle Menschen, die diese Stadt -
ob Memel oder Klaipėda – Heimat nennen.
© Findeisen Uhren
Nationaldenkmal in Memel
DAS KÖNNTE IHNEN AUCH GEFALLEN